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"Die korsische Kiefer"

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Es war einmal eine mächtige und wunderschöne große Kiefer, die stand auf Korsika hoch oben in den Bergen im Bavella Massiv, dicht am Abgrund zu dem Fluß Solenzara, zusammen mit anderen. Die waren auch groß und schön, aber die mittlere war die Größte und Schönste. Täglich wiegte sie sich im Wind und genoss die Aussicht auf die Berge, das Meer auf die Buchten und die Strände von Solaro, an der Air base und den Plage du vache. 

„Was haben wir es doch gut hier oben“ flüsterten sie oft mit einander und reckten ihre Wipfel stolz in die Höhe.

 

Eines Tages kam eine böse Fee vorbeigeflogen, und wenn sie eines nicht leiden konnte, dann dass sich andere ihres Lebens und der Schönheit der Welt erfreuten. Besonders schlecht war sie drauf, wenn sie Migräne hatte wie heute. „ Wartet nur, ihr aufgeblasenen Besenstiele, ich will euch Demut lehren!“ kreischte sie und bohrte mit ihrem Zauberstab Löcher rund um die drei Kiefern in Erdreich und Fels, um sie zu lockern. „ Beim nächsten Sturm seid ihr dran und unten warten die Kettensägen!“ – Sprachs und verschwand, ekelige Rauchschwaden aus Braunkohle, Dieselabgasen, Dioxinen und Massentier-Gülle hinterlassend, dass einem das Atmen schwer wurde.

Wie gesagt: Sie war wirklich besonders schlecht drauf.

Kaum ein paar Tage später erhob sich ein mächtiger Wintersturm. Die ganze Nacht hindurch  regnete es wie aus Eimern, der Wind peitschte durch die Berge und zerrte an den Bäumen, bis schließlich der gelockerte Fels nachgab und das ganze Stück, mitsamt den drei Kiefern in die tiefe Schlucht des Solenzaras stürzte. Nein!, es stürzten nur zwei wirklich in den Fluß, die dritte, unsere Mittlere und Schönste, hing noch mit einer starken Wurzel kopfüber am Abgrund. „ Hilfe, was habe ich denn getan?! So hilf mir doch jemand!“ rief die Kiefer, so laut sie konnte in den Sturm hinaus. Und in der Tat: Es hörte sie jemand, nämlich die gute Fee, die wohl gemerkt hatte, dass ihre böse Kollegin wieder einmal Unheil gestiftet hatte. Sie hielt im Vorbeiflug an und besah den Schaden. „ Zwei meiner Schwestern liegen schon zerschmettert unten und ich hänge hier nur noch an einer Wurzel. Bitte hilf mir!“ – „ Kennst du das Märchen von Dornröschen?“, fragte die gute Fee. „Nein, ich bin eine korsische Kiefer, und kopfüber schon gar nicht“, wimmerte der Baum. – „Dann wüsstest Du nämlich“ sagte die gute Fee, „dass ich das Unheil meiner bösen Kollegin nicht umkehren, sondern nur lindern kann. Und das werde ich nun tun. Sei getrost, du wirst in ganz anderer Gestalt wieder auferstehen, aber erst nach langer Zeit und harten Prüfungen. Und weil das gar nicht schön wird für dich, werde ich dir gleich das Bewusstsein nehmen.“ 

Darauf zog sie den Nebelschleier der Bewusstlosigkeit über die Kiefer und sprach ganz langsam diesen Zauberspruch:

„Von Fels und Sturm zerschlagen,

von Wellen getragen,

von Sanden und Riffen

geschält und geschliffen,

sollst du überleben.

Mit Salzen getränkt,

zum Strande gelenkt,

von Sonne gebleicht,

rein nun und leicht-

eine Hand wird dich heben.

Wenn Jahrzehnte vorbei,

dann bist du frei

zu neuen Leben,

dann wirst du schweben.“

 

Dann reckte die Fee ihren Zauberstab und rief einen Befehl in den Sturm. 

Da begann der Sturm noch einmal richtig zu toben und der Regen wurde noch gewaltiger und die Kiefer wurde angehoben. Mit einem kurzen Funkenstrahl aus ihrem Zauberstab trennte die Fee die noch haltende Wurzel ab, der Regen und Sturm peitschten noch einmal heftig los und die Kiefer fiel krachend den Abhang in den reißenden Fluß hinab. 

Die gute Fee steckte zufrieden lächelnd ihren Zauberstab wieder weg und flog heim, einen leichten regenbogenfarbenen Nebelschweif hinterlassend.

Durch die immensen Wassermassen, die dieser Sturm mit sich brachte, löste sich die verkeilte Kiefer, wurde durch die gewaltige Kraft der Flutwelle des Flusses in handliche Stücke zerteilt und ein Stück mitgerissen.

So begann der Weg des stolzen Baumes hinab Richtung Meer und Strand – mit jedem großen Regen kam sie ein bisschen weiter ans Meer. Mit dem letzten Sturm des Jahres wurde sie vom Solenzara in das Meer gespült .

Und so begannen See und Salz, Sonne und Sand ihr Werk: Die handlichen Stücke wurden durch Wellen und Strömungen gerollt und geschliffen, bis alle scharfen Kanten geglättet und keine Splitter mehr zu fühlen waren, Sommerwellen spülten sie an den Strand, heiße Sonne dörrte und bleichte sie – die Stürme holten sie wieder ins Meer zurück, wo das Spiel erneut begann.

So ging das jahrein – jahraus, viele, viele Jahre lang.

 

Jahrzehnte später ging eine junge Frau am Plage du Vache entlang. Sie war hier schon öfters und kannte sich aus.

Über der Schulter trug sie eine Tasche und suchte mit den Augen den Strand ab. Plötzlich sah sie eine Frau vor sich,- schwer bestimmbares Alter, die schlanke Gestalt umflossen von einem leichten Gewand oder Schleier, das Gesicht halb verdeckt durch die vom Seewind verwehten langen weißblonden Haare. Nur die Augen waren gut zu erkennen – große, dunkle, freundliche Augen. 

„ Bon jour, ma soeur“, sagt die Frau im Schleier, „suchst du etwas?, Kann ich dir helfen?“ Die junge Sammlerin wunderte sich etwas über die vertrauliche Anrede, aber sie mochte diese Art und antwortete: „ Ich suche Treibholz, Schwemmholz für ein Mobile, möglichst grade und genau passend in der Länge“ „ Mobile?“ fragte die Frau im Schleier zurück. Erstaunt, dass jemand nicht wusste, was ein Mobile ist, erklärte sie kurz, was ein Mobile ist: die Hölzer in unterschiedlicher Länge und Stärke, die Bohrungen in der Mitte, das Durchfädeln eines Drahtes, den Halt unten und die Aufhängung oben. „ ... entweder kann man es drinnen platzieren, oder man hängt es draußen auf, der Wind dreht die Stäbe und manchmal setzen sich Vögel drauf.“ schloss sie ihre Erklärungen. 

„Wie bei einem Baum?“ fragte die weisshaarige Frau zurück. 

„ Ja, wie bei einem kleinem Baum, einem umgekehrten, schwebenden...“ – „Einem umgekehrt schwebendem Baum....“ wiederholte die Verschleierte und klatschte leicht in die Hände. „ Wie schön! Schöneres hätte mir auch nicht einfallen können! – und jetzt sag mir bitte noch, ma soeur, für wen machst du das? Für dich?“  „ Nein, ich mache das für die Menschen, die in solch einem Mobile auch etwas Magisches sehen und fühlen können – den Geruch von Holz, das tolle Gefühl beim anfassen, jeder einzelne Stock mit Bedacht gesammelt, ausgesucht und aufgereiht, das Alter der Hölzer- geschliffen über viele Jahre – zu schätzen wissen und sich an diesem erfreuen können.“

Die alte Frau strahlte und rief voller Freude: „ Nun ist es vorbei, jetzt bist du frei, für neues Leben, in dem du wirst schweben! – Nur dieses Kind hat die Macht den Bann von damals zu lösen. Es passt, es passt wirklich alles! – Komm, meine Liebe, ich werde dir helfen und finden, was du suchst.“ Und sie nahm der Sammlerin die Tasche ab, ging voran und zeigte ihr hier und da und dort die schönsten Treibhölzer in genau der richtigen Länge. Sehr bald war die Tasche voll, randvoll. Die Schleierfrau legte ihre Hand auf die Tasche und sagte: “ Es ist sehr gut, was du tust, auch wenn du nicht weißt, was du wirklich tust. In den Hölzern ist jetzt nicht nur Magie von Wind und Wellen, Sand und Sonne, sondern auch meine guten Wünsche für alle, die dieses Holz so lieben..., Leb wohl, ma soeur!“

Und dann war sie fort, einen leichten regenbogenfarbenen Schleier hinterlassend.

Die junge Frau am Strand war etwas verwirrt, das kann man ja verstehen, sie kam sich vor, wie im Märchen. Aber die gesammelten Hölzer in der Tasche waren noch da und real, also schwang sie sich auf ihr Quad und fuhr in Gedanken versunken nach Hause nach Solenzara. Dann per Flugzeug der Transport nach Hause mit Gepäck am Gewichtslimit.

Beim Zusammenfügen der verschiedenen Hölzer zu einem Mobile in ihrer Werkstatt, hatte sie immer wieder das Gefühl, etwas besonderes zu tun. 

Beim Aufhängen der fertigen Mobiles muss jedes ganz leicht erscheinen, getragen von so viel Liebe, Guten Wünschen und Segen....... und ganz viel Magie..., denn was wäre ein korsisches Mobile ohne Magie.....

 

 

Es gibt an den Stränden Korsikas je nach Jahr viel tolles Treibholz,,,,, denn die böse Fee hatte viele schlechte Tage mit Migräne, doch die gute Fee war immer zur Stelle.....

Am Strand begegnet die junge Frau noch immer ab und zu der weißhaarigen Schleierfrau und sucht mit ihr zusammen die schönsten Hölzer aus.....

 

 

 

 

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